„Es wurde allmählich dunkler draußen.
In der Zelle
brannte elektrisches Licht. Die Wachposten
lösten sich ab, und der Schritt der Soldaten hallte
auf dem Pflaster. Sie sangen, wie sie es ja allabendlich
zu tun pflegten, nur hörte es sich aus
der Zelle ganz anders an als sonst vom Zimmer
aus. Abendbrot wurde gebracht,
dicke Graupensuppe mit Kartoffeln
und Fleisch …
Und bald drauf oder lange? Es ging noch einmal
die Tür auf, und ich wurde zum Verhör gerufen.
Das Zimmer war recht geräumig, in dem Kulischew
mich erwartete. Nun hatte ich keine Frisur
mehr, sondern einen gewöhnlichen Zopf, und es
war mir doch etwas unbequem
[peinlich], so zu
erscheinen
… Es war eine Uhr im Zimmer –
gegen 4 Uhr wurde ich in die Zelle zurückgeführt
… Am anderen Tage wurde ich vormittags wieder
zum Verhör geholt … So gingen die Tage. Vormittags
und nachmittags Verhöre, manchmal auch
nachts …
Einmal sollte ich in einem Vorraum warten, da
wurde ein Fenster geöffnet,
ich sollte bisschen
frische Luft haben. Aber von dort konnte ich den
Giebel der Pfingstkirche sehen und mir war es so
schwer, fast sehe ich unsere Fenster und kann
nicht rufen, nichts sagen. Sie wissen es gar nicht,
dass ich so nah von zu Hause bin. Was denken
sie, wo ich bleibe …“
Quelle: Marlise Steinert: Zelle–Baracke–Erdloch.