Hergart Wilmanns beschreibt die hygienischen Zustände
im Lager Workuta:
„Ungefähr 12 Ratten sind Mitbewohner
in unserer Baracke. Sie haben in etwa die Größe von mittelgroßen
Kaninchen. Wenn sie abends auftauchen, folgen
sie einem feststehenden Ritual. Zunächst laufen sie
im Karussell hintereinander durch die Baracke, immer
dicht hinter der Schwanz- spitze der Vorherlaufenden,
fast wie beim Reiten auf dem Zirkel, indes im gestreckten
Galopp. Das scheint ihnen Spaß zu machen,
sie pfeifen laut, führen sich auf wie die Beherrscher
der Baracke und lassen sich auch nicht stören, wenn
man mit harten Gegenständen
nach ihnen wirft. Zuerst
ziehen sie ihre Kreise auf dem Boden, dann lockern
sie die Ordnung und springen von einer Pritsche
zur andern. Mit ihren scharfen Zähnen sägen sie
in kürzester Zeit Löcher in die kleinen Schränkchen
zwischen den Pritschen, wenn sie dort Brot, Esswaren
oder auch mal Seife vermuten. Sie suchen die
unteren Pritschen nach Fressbarem ab. Dann klettern
sie an den Leisten in die obere Etage, um dort weiter
zu forschen. Zwischendurch beehrte mich eine fette
Ratte regelmäßig mit ihrem Besuch … Gelegentlich
verhedderte sie sich mit ihren Pfoten in meinen Haaren,
einmal verfing sie sich mit Kopf und Vorderpfoten
in meinem Blechbecher, konnte sich nicht mehr befreien
und rappelte und zappelte mit dem Becher wild
gegen das Holz. Von Ekelgefühlen geschüttelt, schob
ich sie samt Becher rückwärts gegen den Pritschenrand
und schubste sie hinunter. Danach war sie eine
Weile nicht zu sehen.“
Quelle: Hergart Wilmanns: Blumen im Beton, Nürnberg 2001