Entlassung

Schicksal, Haftzeit und Entlassung der ehemaligen Gefangenen der Leistikowstraße 1 sind unterschiedlich verlaufen. Einige kamen aus den Lagern in der Sowjetunion zurück in ihre Heimat und auf freien Fuß. Andere mussten für weitere Jahre in den DDR-Strafvollzug, bevor sie entlassen wurden. Die dritte Gruppe der von den sowjetischen Militärgerichten Verurteilten blieb ihre gesamte Haftzeit über auf dem Boden der SBZ/DDR.
Die sowjetischen Häftlinge, die nach dem Tod Stalins verurteilt worden waren, mussten ihre gesamte Haftstrafe in Lagern und Gefängnissen in der Sowjetunion „verbüßen“.

     
Suchplakate nach vermissten Angehörigen im Grenzdurchgangslager Friedland (bei Göttingen)

Entlassung der deutschen Häftlinge

Die ersten Entlassungen der interviewten ehemaligen Häftlinge aus den sowjetischen Straflagern erfolgten nach Stalins Tod am 5. März 1953. Von den 28 befragten Häftlingen saßen zu dieser Zeit 19 in sowjetischen Straflagern.
Bis Ende 1953 wurden zunächst zwei Frauen entlassen. Erst nach dem Moskaubesuch Konrad Adenauers im September 1955 kamen weitere Frauen sowie Männer frei. In sogenannten Sammeltransporten brachte man sie zurück nach Deutschland.

Einer der interviewten Häftlinge wurde aus der Sowjetunion in den DDR-Strafvollzug verlegt. Johannes O. saß noch bis 1960 in den DDR-Gefängnissen Bautzen und Brandenburg.

Die sowjetische Führung verfügte bis 1954 auch über Entlassungen von deutschen SMT-Verurteilten, die in DDR-Gefängnissen inhaftiert waren.
Im Oktober 1954 beschloss das ZK der KPdSU die Überstellung der verbliebenen 5.628 Häftlinge an die Justizbehörden der DDR. Fünf der interviewten Häftlinge kamen aufgrund von Amnestien des DDR-Staatspräsidenten Pieck in den Jahren 1955–57 und 1960 frei.

Brief des sowjetischen Außenministers Molotow

Brief des sowjetischen Außenministers Molotow vom 30.9.1954 an das Zentralkomitee der KPdSU zur Überstellung der in der DDR inhaftierten SMT-Verurteilten in die rechtliche Verfügungsgewalt der DDR

Brief des sowjetischen Außenministers Molotow

Leben nach der
Haft in Deutschland

Neun der 28 interviewten deutschen Häftlinge gelangten in „Heimkehrerzügen“ aus der Sowjetunion direkt in die Bundesrepublik. Sechs kehrten zunächst in ihre Heimatorte in der DDR zurück und flohen wenig später nach West-Berlin. In der DDR gab es für sie keine berufliche Perspektive. Über ihre Haftzeit zu sprechen, war von der DDR-Führung nicht erwünscht. Nur vier Haftentlassene blieben in der DDR.

Neun der interviewten Häftlinge sind aus Lagern bzw. Gefängnissen der SBZ/DDR entlassen worden. Von ihnen sind acht in die Bundesrepublik gezogen. Auch in der Bundesrepublik hatten es die Entlassenen anfangs schwer. Sie erfuhren oftmals mangelndes Verständnis und Ablehnung bei Mitmenschen und Behörden. Einige sind in Häftlingsverbänden tätig und kämpfen seit Jahrzehnten um Haftentschädigungen.

Die deutsche Wiedervereinigung 1990 und der Abzug der russischen Truppen 1994 ermöglichten die Auseinandersetzung mit dem Haftschicksal und damit auch diese Ausstellung.

Einige der ehemaligen Häftlinge erhielten ihre Rehabilitierung durch die russische Generalstaatsanwaltschaft. Nach bundesdeutschem Gesetz erhalten ehemalige Häftlinge auf Antrag einmalige Entschädigungszahlungen in Höhe von derzeit etwa 300 Euro pro Haftmonat.

Neben dem erlittenen Unrecht blieben chronische Krankheiten, z.B. Tuberkulose und Erfrierungen sowie Traumata zurück, die sich noch heute in Alpträumen, Schlaflosigkeit, Depressionen oder Angstzuständen äußern.

Übersetzung der Rehabilitierungsurkunde für Wolfgang Becker

Leben der sowjetischen Häftlinge
nach der Entlassung

Das Haftschicksal der sowjetischen Gefangenen der Leistikowstraße unterscheidet sich stark von dem der deutschen Gefangenen. Sie gehörten alle dem Militär an und wurden vielfach wegen Desertion verhaftet und verurteilt. Fast alle mussten deshalb ihre Haftstrafe, im Gegensatz zu deutschen SMT-Verurteilten, bis zum letzten Tag in sowjetischen Straflagern „verbüßen“.

Trotz der Vorstrafe haben einige ehemalige Gefangene nach ihrer Entlassung eine ihrer Qualifikation entsprechende Arbeit gefunden. Georgij Richter arbeitete als Wissenschaftler an einer medizinischen Fakultät und Wladimir Kotschenzow in einem Konstruktionsbüro. Anders das Schicksal von Georgij Gladko – ihm wurde verboten, in seine Heimatstadt zurückzukehren.

Einige in der Stalinzeit verurteilte sowjetische Bürger wurden in der Ära Chruschtschow (1953 – 1964) auf Veranlassung der KPdSU rehabilitiert. Hingegen bemühen sich die in der Zeit nach Stalin Verurteilten bis heute um ihre Rehabilitierung und erhalten, wie Georgij Gladko, statt dieser nicht selten eine volle oder teilweise Bestätigung des Urteils. In seinem Fall wurde die Verurteilung wegen „Vorbereitung einer Straftat“ (§ 15) und „Vaterlandsverrat“ (§ 64) aufgehoben. Bestätigt wurde u.a. der Teil des Urteils, der sich auf „Desertion“ (§ 247-a) bezog.

In der Zeit der „Perestrojka“ unter Gorbatschow (1985 –1991) haben sich viele überlebende Opfer der politischen Repressionen in der Sowjetunion zur Organisation MEMORIAL zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist es, das Gedenken an politisch Verfolgte wachzuhalten, historische Aufarbeitung zu leisten und soziale Fürsorge anzubieten.

Ohne die Kooperation mit MEMORIAL in St. Petersburg und Moskau wäre diese Ausstellung nicht möglich gewesen.

Auszug aus der Bestimmung Nr. 2n-01224/62 des Obersten Gerichts der Russischen Föderation bezüglich der Rehabilitierung von Georgij Gladko und anderen.

Mitglieder von MEMORIAL während einer Kundgebung zum Gedenken
an die Opfer politischer Verfolgung in St. Petersburg in den 1990er Jahren

Mitglieder von MEMORIAL während einer Kundgebung zum Gedenken an die Opfer politischer Verfolgung in St. Petersburg in den 1990er Jahren

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